Unglückskreuz an der Bundesstraße 419

Zwischen Oberbillig und Temmels
Oberbillig, Gemeinde Oberbillig

Beschreibung
Unglückskreuz an der B 419 zwischen Oberbillig und Temmels.

Objektbeschreibung

Es ist ein Kunststeinkreuz zum Gedenken an die am 08. Dezember 1900 zwischen Oberbillig und Temmels in der hochgehenden Mosel ertrunkene Frau Anna Godart (Bild 1). Die Beschreibung in der Denkmaltopographie dazu lautet:
"Über getrepptem Unterbau und halbrundem Inschriftsockel ein achteckiger Pfeiler, darauf ein Malteserkreuz. In dieser Art eine ungewöhnliche und nicht traditionsgebundene Zusammenstellung."
Im Sockel ist die folgende Inschrift eingraviert: "Zum Andenken an unsere unvergessliche am 8. Dezember 1900 an dieser Stelle verunglückte Frau Anna Godart, geborene Losen. Familie Matth. Losen, Trier"(Bild 2).

Zum Hergang des Unglücks wird hier der Bericht in der damals in Grevenmacher erschienenen Obermoselzeitung in der Ausgabe vom Dienstag, den 11. Dezember 1900 im Wortlaut zitiert:
"Grevenmacher, 11. Dez. Als am Sonntag der 2-Uhrzug der Prinz Heinrich-Bahn hier angelangt war, verbreitete sich mit Windeseile die Schreckensnachricht, der Wagen des Arztes Doktor Godart ist in die Mosel gestürzt. Leute im Zug hatten von Wasserbillig aus das Unglück, das sich auf der anderen Seite der Mosel zutrug, beobachtet. Herr Godart war gegen Mittag nach Oberbillig gefahren, um einen Patienten, den Fabrikarbeiter Gallo zu besuchen, dem er Tags zuvor gemeinschaftlich mit zwei Ärzten aus Trier ein Bein abgenommen hatte. Bei dem schönen Wetter hatte Frau Godart Ihren Gemahl, wie das öfters geschah, begleitet. Auf der Rückkehr, etwa anderthalb Kilometer von Oberbillig, war die Straße von dem hochgehenden Flusse etwa 30 Centimeter hoch überschwemmt. Kein Geländer schützt das Ufer, nur einzelnstehende Steine, von denen einige bereits durch die Flut weggespült worden waren, deuten die Uferböschung an. Die Pferde durch das Wasser etwas unruhig geworden gerieten nahe an den Rand und der Wagen rutschte die Böschung hinab, die Pferde nach sich in den Fluß ziehend. Der Arzt hatte die Thüre der Kutsche (es war ein Koupee-. also ein geschlossener, kein offener Wagen) schleunigst geöffnet, sprang aber schon in das tiefe Wasser, aus welchem er sich ans Ufer rettete und um Hilfe rufend an einem der Schutzsteine festhielt, bis ihm der Bahnwärter, der einen Strecke weit davon die Barriere versieht, heraushalf.

Der Versuch des Herrn Dr. Godart, seine Frau aus dem Wagen zu ziehen, war ihm nicht gelungen. Der Knecht war vom Bocke herabgesprungen oder hinab auf die Straße geschleudert worden, und lief nach dem Dorfe zu um Hilfe herbeizurufen. Zwei Fischer, welche einige hundert Meter unterhalb der Unglücksstätte in ihrem Nache fuhren, fischten den Mantel des Kutschers, ein Kissen des Wagens und den Muff der Ertrunkenen auf. Sie hatten von dem Unglücksfalle vorher nichts wahrgenommen. Trotzdem sich Anwohner des preußischen und des luxemburgischen Ufers an dem Nachsuchen beteiligten, ward weder etwas von der Frau Dr. Godart, noch von dem Wagen und den Pferden gefunden. Erst am Sonntag fischte man bei Euren die Wagenthüre auf, und gestern fand man zwischen den Kribben bei Oberbillig die hintere Wagenachse mit zwei Rädern. Der Arzt wechselte in Oberbillig die Kleider, fuhr dan in einem Nachen nach Wasserbillig über und in der ihm vom Hotel Wagener aus zugesandten Kutsche nach Haus. Der Knecht, Peter Demuth, 19 Jahre alt, aus Berdorf gebürtig, lag einige Stunden zu Oberbillig im Bett und kam über Temmels zu Fuß nach Haus. Er gibt den Hergang des Unglücks etwas anders an. Beide Überlebende wissen sich aber von Schrecken des ganzen Vorfalls nicht mehr in allen Einzelheiten zu erinnern. Der Knecht hatte an der Hose beide Kniee zerrissen und harten Blut. Seine Uhr, die er hier zur Reparatur gab, stand genau auf halb 2 Uhr ortszeit, 2 Uhr M. E. Z. Der junge Mann ist am Sonntag nach Haus gefahren. Die ertrunkene Frau Godart ist aus Trier gebürtig, eine Tochter des verstorbenen Rentners Losen, 22 jahre alt und erst seit 2 Jahren verheiratet. Man kann sich den Schmerz ihres Gatten, ihrer Mutter und Iher Familie denken: die ganze Ortschaft und die Umgebung, in der Herr Dr. Godart als vielbeschäftigter Arzt wirkte nimmt teil daran.

N a c h s c h r i f t.
Heute Morgen hat man die Leiche der Fau Godart bei Oberbillig gefunden. Eine Frau, die ans Ufer Wasser schöpfen ging, sah sie hinter den Weiden die Schuhe aus dem Schlamme herausragen. Die Leiche trägt keinerlei Verletzungen der Abschürfungen; sie ist ganz wohl erhalten. Den ganzen gestrigen Tag hatten viele Leute mit Nachen vergeblich das Wasser abgesucht, das heute erheblich gefallen ist. Die Leiche wird direkt nach Trier gebracht und dort beerdigt. Die Kutsche mit den Pferden hat man gestern bei Berkastel gelandet. Sie ist also 80 Kilometer weit getrieben.
Der Weg an der Stelle, wo das Unglück geschah, ist aufgeschüttet und erhöht. Auf keiner Seite reicht die Erhöhung aber bis an den Rand der Überschwemmten Straße, die nicht durch ein Geländer, sonder durch 8 – 10 Meter von einande stehende Steine geschützt ist. Der Kutscher nahm jedenfalls an, der Fahrweg reiche bis an diese Steine und hatte keine Ahnung von dem nicht mit Packlage versehen Streifen – Sommerweg genannt. Er ließ die Pferde wohl etwas zu zu weit rechtsgehen, so daß das rechts gehende Tier von dem Fahrweg auf den Sommereg geriet, einsank, unruhig wurde und endlich ganz neben den Weg kam, und das andere Pferd mit sich in die Tiefe riß. Von den Schutzsteinen sind manche vom Wasser umgeworfen worden."

Diesem ausführlichen, ergreifenden Bericht ist noch hinzu zufügen, dass der geschilderte Hergang von noch vorhandenen Plänen der Straße und Beobachtungen der Mosel bestätigt werden:
Das Unglück ereignete sich rd. 300 Meter oberhalb der heutigen Brücke der Bahnlinie der Strecke Trier-Metz über den Wirtschaftsweg an der Wottelbach. Die Straße, ein maximal 4 Meter breiter geschotterter Weg verlief damals dort näher am Flußufer als die heutige B 419. Sie lag von Oberbillig kommend tiefer und stieg an der besagten Stelle in Richtung Temmels leicht an. Tatsächlich führte die Mosel in der ersten Dezemberdekade des Jahres 1900 ein beachtliches Hochwasser. Die noch vorhandenen Beobachtungsdaten von dem 30 Kilometer oberhalb der Unglücksstelle gelegenen Pegel Besch zeigen für den Unglückstag einen steilen das heißt schnellen Anstieg, in der Größenordnung von 20 Zentimeter/Stunde.In den Nachmittagsstunden des besagten 8. Dezember, einem Samstag muss der Scheitel der Welle die Unklücksstelle passiert haben. In diesem Flußabschnitt, der "Merterter Furt", muss die Strömung bei diesem Hochwasser mindesten 2,5 Meter/Sekunde betragen haben. Es kann angenommen werde, dass auf der Hinfahrt die Straße dort noch nicht überschwemmt war.

Frau Anna Godart; geborene Losen stammte aus Trier. Im Bericht ist gesagt, dass sie "eine Tochter des verstobenen Rentners Losen" war. Rentner war damals ein Mann, der von den Erträgen von Geldanlagen und Immobilien lebte. Betreffend die Familie Losen sind im "Adreß- und Geschäfts-Handbuch der Stadt Trier" von 1901 folgende Einträge:
1.) Losen Matthias, ohne Stand, Bergstraße 27,
2.) Losen Matthias Wwe., Katharina geb. Föhr, Rentnerin, Ostalle 21,
3.) Losen Michel, Weingutsbesitzer, Bergstraße 27 und
4.) Losen Peter, Metzgermeister, Neustraße 69.
Aus diesen Einträgen kann gefolgert werden, dass die Familie Losen eine angesehene und vermögende Trierer Bürgerfamlie war. Die Bergstraße und die Ostallee waren gehobene Wohnlagen und die Neustraße eine der ersten Geschäftslagen in Trier.
Die zu 2.) genannte "Rentnerin Katharina, geb. Föhr, Witwe des Matthias Losen" wird die Mutter der drei genannten Männer und auch der Verunglückten gewesen sein, und sie hat als Familienoberhaupt ihrer geliebten Tochter an der Unglücksstelle das Kreuz bergseitig von der Straße errichten lassen.

Dr. Godart war Pierre Godart, geb. am 11.10.1869 in Niederdonven, gest. am 27.09.1951 in Grevenmacher. Er war Arzt in Grevenmacher, Abgeordneter (Volksvertreter) von 1911-1945, Bürgermeister von Grevenmacher zwischen 1908 und 1920 sowie Sanitätsinspektor. "Pierre Godart hatte das erste Auto in der Umgegend, No 33 aus dem Jahre 1907, Führerschein No 100", das schreibt Jean Welter † an Ostern 1992 im Katalog zur Ausstellung "Maacher Bërger vu fréier".

1937 wurde die Straße, als sogenannte Obermoselstraße -heute B419- ausgebaut, das heißt sie wurde allgemein verbreitert und in diesem Abschnitt auch hochwasserfrei gelegt. Dabei ist das Kreuz vermutlich näher an den Bahndamm versetzt worden. Dieser Standort hatte die Koordinaten, lon: 6.49030, lat: 49.70332.
Wegen des hohen Verkehrsaufkommens auf der B 419 konnte es dort heute keine Beachtung mehr finden. Im Einvernehmen mit der Kreisverwaltung Trier-Saarburg als Untere Denkmalpflegebehörde hat der Heimat- und Verkehrsverein Oberbillig 2005 das Kreuz nach dem Bau des Moselradwegs Abschnitt Oberbillig-Temmels rd. 300 Meter moselabwärts an diesen Radweg, der moselseitig parallel zur B419 verläuft, versetzt. Der neue Stanort am bergseitigen Rand des Radweges an der Böschung der B 419 ist nahe der Einmündung des Radwegs in die Moselstraße und gut einsehbar. Seine Koordinaten sind, lon: 6.49272, lat: 49.70547.

Karl-Heinz Zimmer, November 2011

Datenquellen:
Auskünfte von Frau Monique Hermes, Grevenmacher, Hernn Rolf Manternach, Oberbillig, Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Kreis Trier-Saarburg, 12.1 Wernersche Verlagsgesellschaft 1994, Flusskarte der Mosel des Königlichen Wasserbauamtes Trier von 1907, Blatt 14 und Gewässerkundliches Jahrbuch 1901 [1]

Einordnung
Kategorie:
Bau- und Kunstdenkmale / Sakralbauten / Bildstöcke und Kreuzwegstationen
Zeit:
Mitte 19. Jahrhundert
Epoche:
Klassizismus

Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 6.49272
lat: 49.70547
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: Auf der Merter Furt

Internet
http://www.oberbillig.de/

Datenquellen
[1] Karl-Heinz Zimmer, 2018. http://www.zimmerfamily.net/khzsenior

Bildquellen
Bild 1: © Gerhard Zimmer, Oberbillig, 2011.
Bild 2: © Gerhard Zimmer, Oberbillig, 2011.

Stand
Letzte Bearbeitung: 22.11.2011
Interne ID: 13870
ObjektURL: https://kulturdb.de/einobjekt.php?id=13870
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