Wüstung Thanisch

Graach, Gemeinde Graach an der Mosel

Beschreibung
Das Dorf Thanisch

Eine Legende erzählt von der Orts- und Flurwüstung Thanisch, die auf Bernkasteler Gemarkung in etwa 250 Meter über Normal-Null. auf der linken Seite des Schadbachtales in der Nähe der heutigen Ausflugsgaststätte Eiserne Weinkarte gelegen hatte. Das sich südöstlich anschließende Distrikt Thanisch Wäldchen erinnert noch an das Dorf, das im Dreißigjährigen Krieg aufgegeben worden sein soll.


Die Legende

Der Ort Thanisch lag an einer Durchgangsstraße, welche die beiden Städtchen Bernkastel und Trarbach einander verband und erstreckte sich bis nach Maria-Zill. Diese Straße ist heute noch als Weinbergs- und Waldweg erhalten und wird im Volksmund Trarbacher Weg genannt....

Das Dorf mit seinen ungefähr 145 bis 160 Einwohnern gehörte zur katholischen Pfarrgemeinde Bernkastel. Es hatte 18 stattliche Gehöfte, alles Winzer- und Landwirtschaftsbetriebe. Hinter den Weinbergshängen wurden Getreide, Obst und Flachs angebaut. Auch gab es in Thanisch drei Schenken, denn über die damalige Moselhöhenstraße wickelte sich vom 16. bis 18in reger Durchgangsverkehr ab.

Um 1630 - 40 brachte ein Durchwanderer oder Fuhrmann die Pest ins Dorf. Wie einem schweren Seesturm fielen die fleißigen Bürger der damals unheilbaren Seuche zum Opfer. In kürzester Zeit war die gesamte Einwohnerschaft dem Tode geweiht bis auf einen männlichen Bürger.

Dieser Mann wandte sich an die Stadt Bernkastel. Doch die Stadtwache am heute noch erhaltenen Graacher Tor wies auf Befehl der Stadtobrigkeit den hilfesuchenden Bürger aus Angst, die Pest würde wieder nach Bernkastel eingeschleppt, wo sie schon 1624 - 25 sehr gewütet hatte, ab.

Nach vergeblichen Bitten wandte sich der um Hilfe suchende Mann an das Dorf Graach, und die Gemeinde Graach nahm ihn hilfsbereit auf. Auch die Verstorbenen aus Thanisch sollen nach mündlicher Überlieferung in Graach ihre letzte Ruhe gefunden haben....

Weiter erzählt man, daß der letzte Bürger Thanischs eine Graacherin heiratete und sich nach dem Dorfe seiner unglücklichen Vorfahren Thanisch nannte.

Es ist ein beliebtes Stilmittel, einer mündlich überlieferten und damit nicht bewiesenen Geschichte durch angeblich genaue Beschreibungen und Zahlenangaben Glaubwürdigkeit zu verleihen. Allerdings müssen die Daten über Größe und Ausstattung der Siedlung als reine Fiktion betrachtet werden, denn keinerlei schriftliche und archäologische Quellen bieten dafür eine Grundlage. Vielmehr muß die Erzählung, um sie mit Hilfe unbezweifelbarer Belege der geschichtlichen Wahrscheinlichkeit und vielleicht Wahrheit anzunähern, gründlich umgeschrieben werden.


Die Fakten

Daß es tatsächlich den besagten Ort gegeben haben muß, beweisen eine Reihe von Urkundenstellen seit 1299:

Am 9. April 1299 verkauften Mychael von Thaners und seine Frau Sebylia eine Weinrente, wobei Weinberge ..m Ufer von Taners... als Sicherheit eingesetzt wurden. Bei diesem Rechtsakt war unter anderen auch ein gewisser Hermann von Thaners Zeuge und gleichzeitig Bürge.

Am 24. Februar 1337 wurde eine weitere Abmachung zwischen Friedrich von Graich und seiner Ehefrau Agnes einerseits und dem Trierer Erzbischof Balduin andererseits beurkundet: Friedrich, der sich als Sohn des Zenders von Taners bezeichnete, und seine Frau verkauften ihren Hof in Graach an das Erzstift und erhielten ihn unter den Bedingungen des Erbpachtrechts wieder zur Bewirtschaftung zurück.

Während die beiden genannten Stellen immerhin die Existenz der Ansiedlung Thaners bestätigen, deren Namen W. Jungandreas auf ein vulgärlateinisches, aber nicht belegtes (in) taxonariis beziehungsweise moselfränkisches, nicht belegtes ta(s)nirs, was bei den Dachslöchern bedeutet, zurückführt, gibt das Weistum vom 3. Juli 1315 darüber hinaus auch Auskunft über den erwähnenswerten besonderen Rechtsstatus des Ortes:

Vortme so halt myn herre ein dorif heisset Thaners, dat ist sine frikamer vnd also fri, wurde ein dieff da begriffen mit morde oder mit düberien, dat mag myns herrn amptman richten an den nesten baum er da findet auch halt er da ein fiy kelterhuß vnd winwaisse, dar nat dat der win west. Dat dorff ist also fri, mochte iß der vadien entperren, so engulde iß dem vaide keine bede, wann iß der vadien nu nit entperren enmag, des wird dem vade dar halfscheit von der beden; des halfscheitz müssent die vade warten andersyt Eymerbach vand endürven nit kamen in dat dorff.

Thaners" wird als des Erzbischofs Freihof bezeichnet, in dem die allgemein gültige Hochgerichtsverfassung außer Kraft gesetzt ist, denn normalerweise oblag die strafrechtliche Aburteilung von Dieben, Mördern, Brandstiftern, Zauberern, Verrätern, Wegelagerern und Weinbergsfrevlern der Kompetenz der Hochgerichte, die sich aus dem Amtmann des Erzbischofs als Richter und den 18 Zendern des Hochgerichtsbezirkes als Schöffen zusammensetzte. Wurde allerdings in Thaners ein Übeltäter gefaßt, konnte der Amtmann unter Umgehung einer formellen Gerichtssitzung den Rechtsbrecher umgehend der Todesstrafe durch Erhängen zuführen.

Hier bestand einerseits als eine Art hochgerichtlicher Immunität, andererseits aber auch eine abgabenmäßige, wie die weiteren Sätze zeigen: Der Erzbischof hatte in dem Dorf ebenfalls ein freies Kelterhaus sowie Weinbergsland, für das der für unser Gebiet zuständige Vogt keine Schutzaufgabe zu übernehmen und infolgedessen auch keinen Anteil an der Bede (Grundsteuer) zu bekommen hatte. Falls der Landesherr den Ort dem Vogt jedoch unterstellt, hatte dieser nur Anspruch auf die Hälfte der Bede, die er auch nicht im Dorf selbst, sondern in einiger Entfernung davon, nämlich jenseits des Eymerbaches (Schadbach) abholen durfte.

K. Lamprecht sieht in der rechtlichen Sonderstellung von Thaners ein - wenn auch nicht unbedingt repräsentatives - Beispiel für die vorzugsweise im Spätmittelalter sich abzeichnende Verengung der hochgerichtlichen Zuständigkeiten und die Erweiterung der Ansprüche von Grund- und Territorialherren.

Innerhalb von knapp vier Jahrzehnten bezeugen immerhin drei Dokumente das Vorhandensein eines in seiner Gestalt und Größe nicht näher beschriebenen Ortes in der Nähe von Bernkastel und Graach, der für seine Zeit eine außergewöhnliche Rechtsstellung aufwies. Sein Zender gehörte konsequenterweise nicht zu den 18 Gemeindebeamten im Hochgericht Bernkastel mit Schöffenfunktion in demselben Er muß auch ziemlich unbedeutend gewesen sein, denn es finden sich hier keinerlei Anhaltspunkte für ein auch noch so bescheidenes Gotteshaus.


Das Ende von Thaners

Nach 1337 jedoch tauchte der Ortsname Thaners in keinem einzigen schriftlichen Dokument mehr auf, obwohl doch gerade nach dem Spätmittelalter niedergeschriebene Aufzeichnungen gehäuft auftraten. Es ist kaum anzunehmen, daß in der Zeit bis zum Dreißigjährigen Krieg eine von Menschen bewohnte Ansiedlung weder in weltlicher noch in kirchlichen Berichten erwähnt werden sollte.

Allerdings scheint sich aus Thaners im Laufe der Zeit der Flurname Auf Ertz oder Uercz herausgebildet zu haben, der in vielen Dokumenten im Zusammenhang mit Besitzverzeichnissen bis ins 19 Jahrhundert genannt wurde.

Diese Feststellungen lassen nur den Schluß zu, daß das Dorf Thaners längst vor der in der Legende genannten Epoche aufgegeben worden sein mußte: Thaners, dessen Name heute noch in der Flurbezeichnung und im Familiennamen Thanisch weiter lebt, fiel mit größter Wahrscheinlichkeit schon in den Pestjahrzehnten nach 1347 vollständig wüst.

Für diese Annahme spricht erstens eindeutig das abrupte Ausbleiben schriftlicher Erwähnungen seit der Mine des 14. Jahrhunderts.

Zumindest indirekt unterstützt auch zweitens die in der Carte des Environs de Mont Royal des Ingenieurgeographen Vosgin von 1688 an besagter Stelle eingezeichnete Stelle Grange Ruinee (verfallene Scheune) diese These. Denn wäre das ursprünglich wohl aus mehreren Häusern bestehende Thaners erst rund 50 Jahre vor der Kartierung von seinen Bewohnern aufgegeben worden, wären sicherlich noch mehr Gebäudereste statt eines baufälligen Schuppens für den Kartographen erkennbar gewesen.

Zu guter Letzt widerspricht auch die Familiennamenforschung der schönen Sage vom Untergang des Dorfes im Dreißigjährigen Krieg: Da die Pest erst in den Jahren 1630 - 1640 wütete, 28 hätte der Name Thanisch in der Graacher Schätzungsliste von 1624 noch nicht erscheinen dürfen, wenn man der Legende Glauben schenken möchte. Doch schon in der Zeit, als der Dreißigjährige Krieg unseren Raum noch Oüberhaupt nicht berührt hatte, lebten in Graach zwei Familien. deren Namen von Thaners wohl abgeleitet war, nämlich die des Peter Thaniß und des Franz Thaners. In der Steuerliste (Quotation) von 1651, d. nur wenige Jahre nach dem Kriegsende, fehlten diese beiden Namen zwar, aber in der Description von 1654 tauchte zumindest der Name Franz Thanisch wieder auf, der mit einem Vermögen von einem strohgedeckten, d,h. armseligen, Haus und einer jährlichen Weinernte von drei Fudern im Gesamtvernögenswert von 776 RT veranschlagt war.

Dieser Sachstand kann nur dadurch erklärt werden, daß beide Thanisch-Familien während des Dreißigjährigen Krieges aus Graach geflohen waren. Aber nur Franz Thanisch kam in der Zeit zwischen 1651 und 1654 wieder mit seiner Frau Apollonia, die am 19. Mai 1689 verstarb, zurück. Unbekannt bleiben jedoch das Datum seiner Heirat, die Zahl der Kinder und der Mädchenname seiner Frau. Franz Thanisch selbst starb schon vor dem Jahr 1663, denn in der "Capitatio" (Kopfsteuerliste) desselben Jahres ist seine Witwe mit einem halben Ehegulden eingetragen.

Leider aber ist nicht herauszufinden, wann die Vorfahren von Peter Thanis und Franz Thaners nach Graach gekommen waren.


Schlußfolgerung

Nach all diesen Überlegungen kann nun die Geschichte der Wüstung Thanisch kurz zusammengefaßt werden:

Im Mittelalter lag in gut halber Höhe zwischen dem Moselufer und der Graacher Höhe links des Schadbaches, damals wohl Eymerbach genannt, auf Bernkasteler Gemarkung das kleine Dorf Thaners. Seine Lebensgrundlagen waren wie in allen Moseldörfern der Weinbau im Talhang, der Gartenbau in Dorfnähe und eine bescheidene Landwirtschaft, wohl in der Form der Schiffelwirtschaft, auf der Höhe.

Seinewurden - wie damals überall im Kurfürstentum Trier üblich - von einem Zender als Ortsbürgermeister geführt, der allerdings nicht dieselben Rechte wie die Zender der umliegenden Orte innehatte. Im Gegensatz zu den anderen Flecken im Bernkasteler Hochgericht unterstand Thaners nämlich nicht der Rechtssprechung der Schöffengerichte, sondern den direkten Anweisungen des Erzbischofs, dessen Freihof es somit war.

Ins Rampenlicht der Geschichte trat das Dorf zwischen 1299 und 1337, als sein Name in zwei verschiedenen Urkunden und in einem Weistum erwähnt wurde.

Da nach dieser Zeit nirgends mehr die Rede auf Thaners kam, müssen wir wohl annehmen, daß während der verheerenden Peststürme des 14. Jahrhunderts der größte Teil seiner Bewohner dem Schwarzen Tod zum Opfer fiel und die Überlebenden ihre Heimat verließen.

Im Dreißigjährigen Krieg jedenfalls lebten schon viele Jahrzehnte lang keine Menschen mehr in Thaners, und seine Gebäude waren bis auf wenige Reste längst verfallen und vom Wald überwuchert worden. [1]

Einordnung
Kategorie:
Archäologische Denkmale / Siedlungswesen / Wüstungen
Zeit:
1299
Epoche:
Gotik

Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 7.079561
lat: 49.926662
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: Tanischwald

Internet
http://www.graach.de/

Datenquellen
[1] Arthur Weber, Graach an der Mosel. 2001

Bildquellen
Bild 1: Google Earth
Bild 2: Google Earth

Stand
Letzte Bearbeitung: 12.09.2001
Interne ID: 3567
ObjektURL: https://kulturdb.de/einobjekt.php?id=3567
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