Ehemaliges Arbeitslager in Bongard

Bongard, Gemeinde Bongard

Beschreibung
Das Arbeitslager in Bongard
Wechselvolle Geschichte eines Gebäudes

Annelie Diewald, Trier

Gehst du mit ins Lager? Wer diese Frage stellt, erhält meist eine zustimmende Antwort, handelt es sich doch um die Einladung zu Geselligkeit und Entspannung, der man sich gerne hingibt. Wer denkt schon darüber nach, wie das Gebäude, das am Ortsausgang an der Straße nach Nohn liegt, zu diesem Hausnamen kam? Dabei handelt es sich hier um einen steinernen Zeugen, der Aufstieg und Niedergang eines gern verdrängten Kapitels unserer Geschichte widerspiegelt.

Das Arbeitslager wurde im Jahre 1937 von einer Baufirma aus Mayen auf Gemeindeland errichtet, die Ausführung sämtlicher Holzarbeiten lag beim Bongarder Schreiner Josef Lenzen. Ohne gemauertes Fundament auf Balken erstellt, gingen die Bauarbeiten zügig voran, die Fertigstellung erfolgte bereits im Oktober. Das Lager bestand aus zwei Schlaf räumen mit jeweils 30 Betten, die durch eine Küche und einen Aufenthaltsraum miteinander verbunden waren. In einem kleineren Querbau war die Lagerleitung untergebracht.

Im November 1937 bezogen Mitglieder des Reichsarbeitsdienstes das Lager und wurden in der Ödlandkultivierung eingesetzt. Laut Dorfchronik waren bereits im Herbst/Winter 1936/ 37 90 Morgen Ödland von der Weidegenossenschaft kultiviert worden. Der erste Ertrag an Roggen erbrachte von 15 Hektar Feld über 500 Zentner Körnerfrucht. Das prämierte Saatgut der ersten Sorte wurde mit 13 Reichsmark bezahlt, eine für damalige Verhältnisse enorme Summe.

Ein wesentliches Ziel des Reichsarbeitsdienstes bestand nach dem Willen der Nationalsozialisten darin, daß jeder, unabhängig von Beruf und Stand, die Handarbeit kennenlernen sollte. Jeder Spatenstich ein Gebet für Deutschland lautete eine der bekanntesten Parolen. Nach der Flaggenparade am Morgen wurden vor dem Lager die Tagessprüche verkündet. Die häufig derben Formulierungen richteten sich nicht selten gegen die Kirche, die im Leben eines zukünftigen Soldaten keinen Platz haben durfte und lächerlich gemacht wurde. Sprüche wie folgender sind den älteren Einwohnern von Bongard noch heute in Erinnerung:

Hüte dich vor dem Hinterteil eines Esels,
vor dem Vorderteil eines Weibes,
vor der Seite eines Wagens
und vor allen Seiten eines Pfaffen.

Da im Winter 1937/38 sehr viel Schnee fiel, mußten die Männer des Reichsarbeitsdienstes ihre Arbeit einstellen und konnten das Weihnachtsfest zu Hause feiern.

Zu Beginn des Jahres 1939 wurden jüdische Mitbürger in das Arbeitslager eingewiesen. Da ihre Anwesenheit in der Dorfchronik mit keinem Wort erwähnt wird, müssen die Ereignisse aus den Erinnerungen der älteren Dorfbewohner rekonstruiert werden.

Der Begriff Lager erhält mit den neuen Bewohnern eine völlig andere Bedeutung. Hier wurde eine Bevölkerungsgruppe zwangsweise ihrer Heimat beraubt und in ein Lager gesteckt, um ihre Arbeitskraft auszubeuten. Verglichen mit den zunehmenden Deportationen in die Vernichtungslager mußte das Leben und Arbeiten in Bongard geradezu als Privileg empfunden werden. Morgens zog die Gruppe in einer Kolonne durch den Ort und führte Drainagearbeiten in der Flur Schlüsselsheck durch. Nach zehnstündiger Arbeitszeit mit einer Pause von 15 Minuten wurde der Fußmarsch zurück ins Lager angetreten. Lagerführer Rühl, Angehöriger der SS, wird von der Dorfbevölkerung als sehr streng beschrieben. Er war von Beruf Metzger und Koch und führte bei den Bauern im Ort die Hausschlachtungen durch. Die jüdischen Lagerbewohner kamen aus den verschiedensten Gegenden des Reichsgebietes. Niemand sollte Freunde oder Bekannte vorfinden, die das Eingewöhnen erleichtert hätten. Johann Gilles berichtet, daß er am Bahnhof in Niederehe von einem jungen Mann angesprochen wurde, ob er wisse, wo Bongard liege, er sei ins dortige Arbeitslager eingewiesen. Auf dem gemeinsamen Fußmarsch gab er sich als Kaufmann aus Hamburg zu erkennen und stellte mehrmals die bange Frage, ob man im Lager geschlagen werde. Diese Frage verneinte Johann Gilles guten Glaubens, denn der Kontakt zwischen Lagerinsassen und Dorfbevölkerung wurde zunächst geduldet. Wenn vor Meyesch Haus der Streisel zum Trocknen ausgebreitet wurde, dann fanden sich am Abend auch Juden dort ein, um ein Schwätzchen zu halten. Der Kontakt wurde aber zusehends erschwert, nur der Lagerälteste durfte noch im Kolonialwarengeschäft Lenzen einkaufen. Auf die Frage, wie es ihnen gehe, antwortete er: Solange wir hier sind, geht es uns gut. Der Weitertransport in die Vernichtungslager ist auch diesen Menschen vermutlich nicht erspart geblieben. Wie groß der Wunsch war, aus dem Lager zu fliehen, zeigt das Verhalten eines Juden, der sein Fahrrad mitbrachte und es, ohne Wissen der Lagerleitung, in der Scheune des Bauern Nohner unterstellte.

Nach ungefähr einem halben Jahr wurden die Lagerbewohner abtransportiert, über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Nach dem Krieg sollen verschiedentlich Nachforschungen im Ort über den verhaßten Lagerführer Rühl angestellt worden sein. Es konnte ihm aber nichts nachgewiesen werden.

In den folgenden zwei Jahren diente das Gebäude hauptsächlich der Unterbringung von Kriegsgefangenen, die die Ödlandkultivierung weiter vorantreiben mußten.

In der Ortschronik ist unter der Eintragung des Jahres 1942 vermerkt, daß das Arbeitslager über ein Jahr leer stand und jetzt eine völlig andere Bestimmung erhalten soll. Unter der großen, fettgedruckten Überschrift Schule am 600 Meter hohen Barsberg erschien im Koblenzer Nationalblatt, Kreisteil Mayen, ein ausführlicher Bericht darüber, daß die Gauwaltung des NS - Lehrerbundes das Gebäude erworben habe, um dort das erste Schullandheim des Regierungsbezirks Koblenz einzurichten. Zu den wesentlichen Aufgaben eines Schullandheims gehörte es, den Schülern den Begriff von Blut und Boden in lebendiger und anschaulicher Form zu vermitteln. Daneben galt es, den Gemeinschaftsgeist zu fördern sowie Verantwortungs- und Pflichtbewußtsein zu wecken. Die nationalsozialistischen Erziehungsziele waren darauf ausgerichtet, den jungen Menschen auf die Politik Hitlers einzuschwören. Die Verherrlichung von Mut, Stärke und unbedingtem Gehorsam trat an die Stelle selbständigen Denkens und Handelns.

Ausschlaggebend für den Standort Bongard waren neben den vorhandenen Gebäuden die hervorragenden klimatischen Verhältnisse in dieser Höhenlage, die sich günstig auf den Gesundheitszustand der Kinder auswirken sollten. Sogar der Bau eines Schwimmbassins war vorgesehen. Warum das Vorhaben letztlich scheiterte, ist unbekannt. In der Chronik wird lediglich von Schwierigkeiten berichtet, die den Plan verhinderten.

Kurze Zeit darauf kaufte die Hitlerjugend das Gebäude und richtete es als Landdienstlager für Mädchen ein. Im Laufe des Sommers 1943 bezogen 15 Mädchen das Arbeitslager. Sie wurden verschiedenen Familien in den Dörfern Bongard, Bodenbach, Borler und Gelenberg zugewiesen, wo sie im Haushalt und bei der Feldarbeit mithelfen mußten. Noch heute haben einzelne Familien im Dorf Kontakt zu ihren ehemaligen Landmädchen.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zogen sogenannte Notstandsarbeiter in das ehemalige Arbeitslager ein. Es handelte sich hierbei um Waldarbeiter aus dem Raum Mayen/ Andernach und um Flüchtlinge aus den besetzten Ostgebieten. Sie schlugen Holz im Staatsforst Heyer, das zu den Bahnhöfen in Niederehe und Utzerath transportiert wurde und als Brennholz für das Ruhrgebiet bestimmt war. Ein schwerer Unfall ereignete sich hierbei, als ein vollbeladener Wagen auf herumliegende Teile einer V1-Rakete auffuhr und in die Luft flog.

Im Jahre 1946 ging das Gebäude in Privatbesitz über. Die neuen Eigentümer richteten später eine Gastwirtschaft ein. Trotz mehrmaligen Umbaus blieb als typisches Kennzeichen der große Saal, bestehend aus den ehemaligen Schlafräumen, erhalten. Hier werden Kirmes, Karneval und Familienfeste gefeiert. Einmal im Jahr geht jeder Dorfbewohner ins Lager. Dann nämlich findet der gemütliche Abend des SV Bongard statt, bei dem aktive und inaktive Sportler als Komiker und Humoristen ihr Können unter Beweis stellen. [1]

Einordnung
Kategorie:
Geschichte / Rechtsdenkmale / Gefängnisse
Zeit:
1937
Epoche:
20. Jahrhundert

Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 6.831325
lat: 50.294467
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: Ober Rotergarten

Internet
http://www.bongard.de.vu/

Datenquellen
[1] Annelie Diewald, Trier in: Heimatjahrbuch Landkreis Daun 1988 http://www.jahrbuch-daun.de/VT/hjb1988/hjb1988.78.htm


Stand
Letzte Bearbeitung: 26.08.2023
Interne ID: 6265
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