Wüstung Allscheid (1)

Steiningen, Gemeinde Steiningen

Beschreibung
Allscheid. 1810 / 11 enthält die Tranchot-Karte Blatt 156 Daun ein einzeiliges Straßendorf namens Altscheid.1852 verkauften die Bewohner ihre 21 Anwesen für 21.000 Thaler an die Gemeinde Steiningen und wanderten nach Amerika aus. 1854 Abbruch der Häuser.

> AIIscheid - ein verschwundenes Dorf
Die meisten Bewohner wanderten nach Amerika aus
Von Bernhard Gondorf

Von der Steineberger Höhe hat man einen weiten Blick über die Vulkaneifel. Schaut man von hier aus über Steiningen und das Alfbachtal in Richtung Darscheid, dann heftet sich der Blick unwillkürlich an ein kleines, weißschimmerndes Kapellchen. Es ist demErasmus geweiht, der zu den Vierzehn Nothelfern gerechnet wird. Die Menschen der Umgebung erflehten hier Fürbitte um Heilung ihrer von Ausschlag und Milchschorf, dem in der Eifel Freeßen genannten Hautleiden, befallenen Kinder.
Das Kapellchen ist der einzige steinerne Zeuge eines Dorfes, das unter ungewöhnlichen Umständen wüst geworden ist. Es kündet von Allscheid, einem Ort mit achtzehn Häusern.

Eine Wüstung ist, nach der auch heute noch gültigen Formulierung von A. Becker, die Stelle einer Siedlung, die in ihrer Eigenart, ob sie nun eine Einzelsiedlung oder eine Sammelsiedlung war, verschwunden ist; wenn von einer geschlossenen Siedlung, Stadt, Markt oder Dorf nur ein Hof, eine Burg, eine Kirche, eine Mühle, ein Kloster o. ä., also eine Einzelsiedlung als Restsiedlung des ursprünglichen Dorfes bleibt, ist die Stelle doch eine Wüstung, auch dann, wenn nachträglich eine solche Einzelsiedlung auf dieser Stelle entsteht, mag sie den gleichen oder einen anderen Namen tragen als die verschwundene Siedlung. Ebenso muss der Platz eines Ortes als Wüstung bezeichnet werden, wenn der Ort zur Gänze an eine andere Stelle verlegt wurde oder aus irgendwelchem Grund förmlich ’übersiedelt’ ist. Wüstungen können entstehen durch Zerstörung, zum Beispiel in Kriegen oder infolge einer Feuersbrunst, aber auch durch freiwillige Auflassung, etwa bei einer Umsiedlung. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Vielfalt des Wüstungsbegriffs darzulegen.

Die Bewohner von Allscheid waren arme Leute. In der nüchternen Amtssprache geben die Berichte des Gemeinderates von Steiningen-Allscheid ein erschütterndes Bild der Notsituation. Das 1846 begonnene Register der Beschlüsse des Gemeinderates der Gemeinde Steiningen-Allscheid betont immer wieder die Armut der Einsassen der Gemeinde Allscheid.

So wurde 1847 das den Einwohnern zufallende Brandholz zugunsten der Gemeindekasse versteigert, weil der Kaufpreis nicht zu erschwingen war. Ferner wurde ihnen die jährliche Brennholz- und Viehtaxe erlassen, also relativ geringe Steuern. Am 16. April 1847 heißt es in einem Beschluss:[...]so erkennt es der Rath für Pflicht, für seine Mitbürger einzustehen und beantragt hier mit: das hundert Scheffel Roggen an die Einsaßen von Steiningen-Allscheid verabfolgt werden... Der bewirtschaftete Boden erbrachte eine so geringe Ernte, dass nicht einmal die wenigen Menschen in Allscheid davon leben konnten.

Am 29. Februar 1848 heißt es, zum Pfarrhausbau in Darscheid seien von der Gemeinde Allscheid 22 Taler, 6 Groschen und 10 Pfennig aufzubringen und zur Deckung eines Defizits in der Kirchenkasse weitere 8 Taler, 10 Groschen und 4 Pfennig, also insgesamt 30 Taler, 17 Groschen und 2 Pfennig. Da die Aufbringung durch Beischläge für die bettelarmen Eingesessenen von Allscheid als eine reine Unmöglichkeit erscheint, so wolle der Gemeinderat sich hierüber gutachtlich äußern. Nach näherer Berathung des Gegenstandes ist man der einstimmigen Meinung, dass die Aufbringung durch Umlage in der Unmöglichkeit liege, weil die Eingesessenen von Allscheid ganz verschuldet und durchweg bettelarm seien...
Um einer Verelendung der Allscheider vorzukommen, entschloss man sich, diesen Menschen die Umsiedlung in eine der Nachbargemeinden oder die Auswanderung anzuraten. Wann der Gedanke aufkam, ist nicht festzustellen.

In einem kurzen Beitrag erzählte 1913 Pfarrer Josef August Specht aus Mehren, die Allscheider seien als Bettler, Faulenzer und Diebe vielfach berüchtigt gewesen. Das Dorf sei wegen des minderwertigen Charakters seiner Bewohner von einem Nachbardorfe aufgekauft und dann dem Erdboden gleichgemacht worden.
Nun ist es sehr einfach, ärmere Mitbürger zu diffamieren, ihnen beschämende Bezeichnungen anzuhängen und sie abzustempeln, ohne nach dem Grund für die Armut und Verelendung zu fragen. So wird es auch in Allscheid gewesen sein.
Bedauerlich ist zudem, dass ein katholischer Priester in die gleiche Bresche schlägt und noch Jahrzehnte später die Diffamierung wiederholt. Auch er fragt nicht danach, da8 der Boden ausgelaugt und verkarstet war, dass durch die Realteilung die Anbauflächen so klein wurden, dass eine ertragreiche Bewirtschaftung nicht mehr möglich war. Wenn dann auch noch ein schwarzes Schaf unter den Bewohnern war, hatte das Dorf seinen Ruf weg.

Bildhaft übertrieben erzählt Specht: "Im Winter 1851 / 52 saßen in Steiningen mehrere Dorfpolitiker zusammen hinter dem Ofen, als einer von ihnen den Wunsch aussprach: ’Wären die Allscheider nur glücklich in Amerika’."
Ob es sich tatsächlich so zugetragen hat, darf bezweifelt werden. Die Anekdote hebt aber sehr klar heraus, welche beinahe magische Ausstrahlung der Name "Amerika" um die Mitte des 19. Jahrhunderts in wirtschaftlich benachteiligten Gebieten hatte. Wer in die Neue Welt ging, hatte ausgesorgt; dort war das gelobte Land, wo Milch und Honig flossen. Was lag also näher, den armen Nachbarn zu empfehlen, in die Vereinigten Staaten auszuwandern und dort ihr Glück zu machen.

In der Gemeinderatssitzung am 22. Mai 1852 wurde der entscheidende Beschluss gefasst, "dass der Auskauf der Bewohner von Allscheid Seitens der Gemeinde Steiningen durch das Interesse der letzteren auf das dringendste geboten ist, sowohl den fraglichen Wald, als auch das Privat-Eigenthum der einzelnen Bewohner für die Gemeinde Steiningen zu verrequirieren".
Für den Wald sollten 3000 Taler bezahlt werden, womit in erster Linie die Kosten für die Überfahrt der Auswandernden und für die Übersiedlung der übrigen Familien in einen anderen Ort gedeckt werden sollten. Die anteilige Restsumme sollte dann auf dem Schiff beziehungsweise am neuen Wohnort ausgehändigt werden. Die privaten Grundstücke wurden mit insgesamt 2200 Talern bewertet. Die neunzehn Eigentümer sollten den Betrag erhalten, sobald die Bezirksregierung in Trier die Genehmigung erteilt hatte. Allerdings wurden vom jeweiligen Anteil Hypotheken getilgt, so dass im Endeffekt nicht mehr viel übrig blieb.
"Der Gemeinderath beschließt, um fernere Ansiedlungen unmöglich zu machen, dass sofort nach dem Abschlu6 dieser Privatkaufverträge und Genehmigung des ganzen Geschäftes Seitens der K. Regierung alle den bisherigen Ort Allscheid bildenden Gebäudlichkeiten auf Kosten der Gemeinde niedergerissen werden."

An einem Sommertag des Jahres 1852 verließen 66ihren Heimatort Allscheid. Der Dauner Gutsbesitzer Nikolaus Hölzer, der der Gemeinde Steiningen die notwendigen Gelder vorgestreckt hatte, brachte die Auswanderer samt ihren Habseligkeiten mit dem Leiterwagen, wohl einem Erntewagen, nach Rotterdam, von wo aus sie sich nach Nordamerika einschifften. Andere Familien siedelten zum gleichen Zeitpunkt in umliegende Gemeinden über. Drei Familien blieben zunächst noch in Allscheid zurück. Sie siedelten im Frühjahr 1853 in Nachbarorte über.

Kurz nachdem das Dorf verlassen worden war, brach man alle Häuser und Hütten ab. Kein Stein blieb auf dem anderen. Steine, Holz und Schutt wurden abgefahren, Zäune und Hecken niedergelegt. Schon im Sommer 1853 zog der Pflug seine Furchen, wo einstmals Menschen gelebt hatten.
Nur die Kapelle wurde von der Zerstörung verschont. Um die kleine Glocke entbrannte ein Streit zwischen der Zivilgemeinde Steiningen und der Kirchengemeinde Darscheid, der 1855 zugunsten von Steiningen entschieden wurde.

1867 wurde die kleine, 1750 errichtete Kirche zum Streitobjekt. Nach einem Gutachten des Kommunalbaumeisters Brück aus Wittlich war das Gebäude für baufällig erklärt worden. Es war die Rede von einem "kläglichen Bild, weil nach der Abwanderung der Allscheider nichts mehr geschehen" sei. Weder die Pfarrei Darscheid noch die Gemeinde Steiningen oder die Amtsbürgermeisterei Gillenfeld wollten die Baukosten tragen. Schließlich fand sich ein Steiniger Bürger bereit, die Kapelle in ein Heiligenhäuschen umzubauen, damit der Streit beendet würde. Neben einem verdeckten Kellergewölbe ist die Kapelle des heiligen Erasmus das letzte Zeichen des Eifeldorfes Allscheid.
In der Kapelle steht ein Säulenaltar vom Ende des 18. Jahrhunderts mit einem ersetzten Altarblatt und nach vorn herausgedrehten, geschweiften und reich profilierten Gesimsen. Die Kapitelle und freien Flächen sind mit Rokoko-Ornamenten verziert. Den oberen Abschluss bildet eine Strahlengloriole hinter Wolken.

1952 hatte Klaus Mark aus Brockscheid in seinem Heimatspiel "Das tote Dorf" das Schicksal der Bewohner von Allscheid darzustellen versucht, wobei er der Wahrheit nähergekommen sein dürfte als Pfarrer Specht. [1]

Einordnung
Kategorie:
Archäologische Denkmale / Siedlungswesen / Wüstungen
Zeit:
1852
Epoche:
Historismus / Jugendstil

Lage
Geographische Koordinaten (WGS 1984) in Dezimalgrad:
lon: 6.904067
lat: 50.193410
Lagequalität der Koordinaten: Genau
Flurname: Dorf Allscheid

Internet
http://www.steiningen.de/

Datenquellen
[1] Janssen, W.: Studien zur Wüstungsfrage im fränkischen Altsiedelland zwischen Rhein, Mosel und Eifelnordrand. 2 Bände. Text u. Katalog, 1975.
[2] Kartenaufnahme der Rheinlande - durch Tranchot und von Müfflng, Blatt 156, Jahrgang 1810/11, Aufnahme: Capitaine Ing. Geograph 2. Klasse M. Ribet.

Bildquellen
Bild 1: © Peter Valerius, Kordel n. Kreisjahrbuch Trier-Saarburg. 1996

Stand
Letzte Bearbeitung: 12.10.2019
Interne ID: 804
ObjektURL: https://kulturdb.de/einobjekt.php?id=804
ObjektURL als Mail versenden